Der katholische Theologe Matthias Loretan leitet den Pastoralraum Altnau. (Bild: Donato Caspari)
DIALOG ⋅ Der 2010 gegründete Interreligiöse Arbeitskreis Thurgau wollte eine Plattform der Weltreligionen werden. Kirchgemeinden und Moscheevereine machen mit. Die Trägerschaften der Landeskirchen sind jedoch ferngeblieben, im Unterschied zu St. Gallen.
Thomas Wunderlin
Alle diskutieren miteinander, Christen und Muslime sind dabei, auch Juden, Buddhisten und Bahai. So hatten es sich die Gründer des Interreligiösen Arbeitskreises Thurgau gedacht. Doch Vorstandsmitglied Matthias Loretan sagt: «Die Hoffnungen der Gründer haben sich nicht erfüllt.»
Zwar treffen sich tatsächlich Gläubige verschiedener religiöser Bekenntnisse an den Vereinsveranstaltungen. Doch als der Arbeitskreis 2010 erstmals zusammentrat, hatte man offizielle Vertreter der Weltreligionen erwartet. Diese blieben weg. Der Grund war laut Loretan unter anderem, dass «einzelne Akteure auf der Ebene Thurgau schlecht organisiert sind». Eigentlich seien nur die beiden Kirchen und die Muslime institutionell im Kanton präsent. «Andere, wie die Bahai, haben im Thurgau gar keine Organisation; selbst für ihre liturgischen Feiern gehen sie nach ausserhalb.» Juden lebten nur wenige im Thurgau, eine Synagoge gebe es keine.
Nicht mitgemacht haben hingegen die beiden Landeskirchen. «Ihre Trägerschaften haben gesagt, sie wollten direkten Kontakt mit andern religiösen Organisationen», erklärt Loretan. Beispielsweise hätten sich die Seelsorger des Bistums Basel vor vier Jahren an ihrer jährlichen Weiterbildung auf Wunsch von Bischof Felix Gmür mit dem Islam in ihrem Dekanat befasst. Sie hätten abgeklärt, ob es eine Moschee gebe, und sich darum bemüht, den zuständigen Imam kennen zu lernen. Der Vorstand des Interreligiösen Arbeitskreises Thurgau schielte gemäss Loretan neidisch auf den «interreligiösen Dialog» (ida) St. Gallen, ein analoges Projekt, das jedoch im Unterschied zum Thurgau vom Bistum und von der evangelisch-reformierten Kirche des Kantons mitgetragen wird und sogar in der kantonalen Verwaltung verankert ist. Loretan betont, dass er die Abwesenheit der Landeskirchen nicht bedauert: «Es ist von Vorteil, klein und beweglich zu sein.»
Im Interreligiösen Arbeitskreis Thurgau dabei sind dennoch ein Kloster, eine evangelische Kirchgemeinde, zwei katholische Pfarreien, ein buddhistisches Zentrum und vier Moscheevereine. Insgesamt sind 10 Institutionen und 25 Einzelpersonen dabei. Im fünfköpfigen Vorstand sitzen vier Christen. Der 64-jährige Loretan ist einer davon. Der verheiratete katholische Theologe leitet den Pastoralraum Altnau, der von Bottighofen bis Kesswil reicht. Ebenfalls Vorstandsmitglied ist der Kreuzlinger Imam Rehan Neziri.
Vertreter der Weltreligionen beten für ein friedliches Zusammenleben
Der Arbeitskreis hat auch einige seiner selbstgesteckten Ziele erreicht. So hat laut Loretan schon zum dritten Mal eine Feier zum Bettag stattgefunden: «Da treffen sich tatsächlich Vertreter der Weltreligionen, die für ein friedliches Zusammenleben der Religionen in der Schweiz beten.» Wichtig sei auch die Woche der Religionen jeweils in der ersten Novemberwoche, deren Anlässe vor allem in der Region Kreuzlingen stattfänden.
Andere Versuche scheiterten an einem grundlegenden Problem. Da Vertreter verschiedener Weltreligionen im Arbeitskreis vertreten sind, gab es viele Eintretensdebatten: «Man gesteht sich gegenseitig zu, wie wichtig man ist, dann ist die Zeit schon fast vorbei. Beim nächsten Mal sind wieder neue Leute dabei.» Als Misserfolg bezeichnet der Theologe auch die Veranstaltungen mit aussenstehenden Referenten, die kaum Zuhörer von ausserhalb des Vereins angelockt hätten.
Nun habe der Arbeitskreis für seine Veranstaltungen eine neue Form entwickelt. «Wir wählen ein Thema und einen bestimmten Ort.» Ein Kurzreferat ermögliche den Einstieg in die Diskussion. Beim ersten Versuch am 26. Januar in der Münsterlinger Klosterkirche ging es um die Frage, ob Mission und interreligiöser Dialog zusammen möglich seien. In der Diskussion schilderte unter anderem Imam Rehan Neziri, warum und wie er sich von den Bekehrungsversuchen salafistischer Bekenner auf dem Kreuzlinger Boulevard abgrenzt. Wie Loretan in seiner Zusammenfassung schrieb, waren sich die zwei Dutzend Teilnehmer einig darin, dass die Religionsgemeinschaften konsequent darauf verzichten müssen, ihren Glauben mit Gewalt durchzusetzen. Nur so sei ein friedliches Zusammenleben möglich. Konflikte bestünden zunehmend nicht zwischen, sondern innerhalb der Religionsgemeinschaften zwischen jenen, die ihre Wahrheit absolut setzen, und jenen, welche die Würde und die Religionsfreiheit als höheres Gut achten. Loretan hält es für entscheidend, dass die Religionen die Religionsfreiheit innerlich bejahen.
Wenn es im Thurgau zu Berührungen zwischen Weltreligionen kommt, dann geht es laut Loretan vor allem um Christen und Muslime. Konflikte gibt es nach seiner Einschätzung keine. Mittelfristig müsse sich die Politik aber mit dem Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen befassen. Gemäss der geltenden Verordnung des Regierungsrats wird er von den Landeskirchen erteilt. Doch auch andere Weltreligionen sollten Unterricht an öffentlichen Schulen erteilen können, vor allem in den Städten.
Kreuzlingen ist damit vorangegangen. Seit dem Jahr 2010 organisiert ein Verein in Räumen der Schulgemeinde islamischen Religionsunterricht. Zu den Initianten gehörte Loretan als Gemeindeleiter der katholischen Kreuzlinger Pfarrei St. Ulrich. Wegen dieses Engagements hatte auch er damals darauf verzichtet, bereits bei der Gründung des Interreligiösen Arbeitskreises Thurgau mitzumachen.
Quelle: www.tagblatt.ch
Den Beitrag im PDF herunterladen.